Wir müssen über Gewalt gegen Frauen reden und auf Prävention setzen!

In Österreich gab es 2019 36.000 Anzeigen wegen häuslicher Gewalt – das sind fast 100 Anzeigen pro Tag! Im selben Jahr wurden 39 Frauen ermordet.

Wir müssen über Gewalt gegen Frauen reden! Wir müssen Betroffenen eine Stimme geben und dem Schweigen endlich ein Ende setzen!

Mein Name ist Alexandra Maritza Wachter, ich arbeite hauptberuflich als Politik-Journalistin bei PULS 4 und PULS 24, bin stellvertretende Vorsitzende des Frauennetzwerks Medien, absolviere aktuell ein Master-Studium in „Politischer Kommunikation“ und ich habe mich vor Jahren aus einer gewalttätigen Beziehung befreit.

Um zu verdeutlichen, was Gewalt bedeutet, werde ich nun einen Text vorlesen, der anonym von einer Journalistin geschrieben und im Standard unter dem Titel „Ich habe eine gewalttätige Beziehung überlebt“ veröffentlich wurde.

Ich möchte etwas über Gewalt erzählen und ich möchte das anonym tun.

Der Grund, warum ich anonym bleiben möchte, ist die Scham, die mich noch immer verfolgt, wenn Menschen wissen, dass mir Gewalt in der Beziehung angetan wurde. Ich spüre dann ihre Blicke, die mich fragen, wie es dazu kommen konnte. Sie sehen plötzlich einen schwachen Menschen vor sich. Ein Opfer. Ein Gewaltopfer. So sieht ein Gewaltopfer aus? Wie konnte ihr das passieren? Fragen, die mich mit jedem Blick weiter durchbohren. Aber ich will über meine Gewalterfahrung reden, und so anderen Frauen zeigen: Man kann da rauskommen. Man kann überleben.

Ich habe überlebt. Ich habe mich aus dieser destruktiven, gewalttätigen, gefährlichen, bösartigen Beziehung befreit. Menschen, die mich lieben, haben mich unterstützt. Haben mich be-schützt. Waren da, als ich nicht mehr wusste, wie ich seinen Schlägen, seiner Wut und seiner Gewalt entkommen kann.

Gewalt kommt immer plötzlich und ohne Vorwarnung. Sie ist nicht nur schwarz oder weiß, sondern auch grau. Grau in allen Facetten. Mal dunkler, dann heller. Und weil Gewalt so verschieden ausfällt, glaubt man, dass sich der Mann, der sie ausübt, auch tatsächlich ändern kann. Er ist nicht durchgängig böse. Er ist auch reuig, liebevoll und vielleicht sogar der Vater der Kinder. Er ist über Monate hinweg gut und dann ohne Vorwarnung abgrundtief schlecht. Der Auslöser für seine Gewalt ist vielfach nicht abzusehen und die Schuldumkehr passiert in einem Abhängigkeitsverhältnis unendlich schnell. Wer will schon wahrhaben, dass der Mann, den man braucht, der der Vater der eigenen Kinder ist, ein brutaler Schläger ist?

Also verdrängt man die dunklen Tage und sieht die hellen. Man konzentriert sich auf die guten Seiten, die es auch gibt. Und nach außen, da ist er freundlich. Zu freundlich vielleicht, aber das hinterfragt niemand. Und er plant das ja auch nicht.

Er schlägt aus Überforderung und weil er provoziert wurde. So sagt er es zumindest und man will es glauben, um zu erhalten, was doch noch verbindet und weil man keine Chance sieht, das Leben alleine zu bestreiten. Man fühlt sich schuldig. Fühlt sich unfähig. Zweifelt an der eigenen psychischen Gesundheit. Vielleicht löst man seine Gewalt tatsächlich aus? Und nach seinen Schlägen, da tut es ihm ja leid. Er bettelt und fleht und plötzlich ist der gewalttätige Schläger, der in diesem Mann war, weg. Zurück bleibt der Mann, der gut und der Vater der Kinder ist.

Schrecken ohne Ende

Doch eines Tages, da kennt seine Gewalt keine Grenzen mehr. Da entladen sich sein gesamter Frust, seine Eifersucht und seine ganze Wut. Er spricht von Mord, wenn man ihn tatsächlich eines Tages verlassen sollte und der ohrenbetäubende Lärm seiner Schläge, Tritte und Schreie lässt die Nachbarn endlich aktiv werden. Sie rufen die Polizei.

Wenn das blaue Licht von draußen durch die halb zugezogenen Vorhänge scheint, weiß man, dass es Hoffnung gibt. Gleich werden Menschen an der Tür läuten und er wird innehalten. Er wird weggewiesen. Er wird sich fügen. Der Schrecken nimmt damit noch lange kein Ende, doch er wird unterbrochen. Man bleibt zurück. Schmerzerfüllt, gedemütigt, alleine, traurig und dennoch unendlich stark für die eigenen Kinder.

So vergehen ein paar Tage. Er meldet sich nicht, geht auf Abstand. Man beruhigt sich und will nicht wahrhaben, was in dieser schrecklichen Nacht passiert ist. Umso mehr Zeit vergeht, umso verschwommener wird die Erinnerung. Der Schrecken verblasst. Die Kinder fragen nach ihrem Vater. Dann kommt er wieder. Steht vor der Wohnungstüre: reuig, einsichtig und bereit sich endlich zu ändern. Er verspricht es. Verspricht es immer und immer wieder. Man will es so gerne glauben. Will aufwachen aus diesem Albtraum.

Aufklärung und Schutz

Der Mann, der Gewalt ausübt, ist kein ersichtliches Monster. Aber er ist davon überzeugt, dass er das Recht hat, sich zu nehmen, was ihm seiner Meinung nach zusteht. Seine Frau gehört ihm und er würde seine Frau lieber zerstören, als sie freiwillig gehen zu lassen. Da gibt es keine Widerrede und auch kein Entkommen.

Die einzige Chance ist Aufklärung, Unterstützung und Schutz. Der Moment des Gehens ist der Moment der größten Gefahr.

Das größte Risiko bringt aber auch die größte Möglichkeit auf ein Leben ohne Schläge, Erniedrigung und Zerstörung. Gehen ist die einzige Option. Die absolut einzige Option. (N. N., 13.2.2019)



Dieser Text soll uns allen, die wir in den Medien arbeiten, zeigen, welche Verantwortung von unserer Berichterstattung ausgeht. Wir müssen Opfern eine Stimme geben. Wir müssen einen Mord benennen und nicht von einer Familientragödie sprechen. Wir müssen klar sagen, dass es in solchen Fällen keine Mitschuld des Opfers gibt. Wir müssen hinschauen und durch echtes Mitgefühl begreifen, dass das auch UNS, unserer Schwester und unserer besten Freundin passieren kann. Die Worte, die wir verwendderstandard.aten, prägen das Bild dieser Gesellschaft.

 
 

Link zum Artikel auf derstandard.at

 

Verstecken die Medien kluge Frauen absichtlich, Alexandra Wachter?

Gleich und gleich gesellt sich gern – auch in Österreichs Redaktionen. Gegen männliche Führungsriegen hilft deshalb nur eine Quote, meint die Journalistin Alexandra Wachter.

Bereits vor der Corona-Pandemie haben in den Medien vor allem Männer analysiert und kommentiert – als Politiker, Experten und Journalisten. Während der Krise waren Frauen noch weniger präsent: Laut einer Erhebung des Moment Magazin sank der Frauenanteil in österreichischen Polit-Talkshows von rund 38 auf 30 Prozent. Wie kann das sein?

 
 

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Foto: © Wienerin / Natalie Paloma